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Vor den koreanischen Präsidentschaftswahlen
Linker Populismus oder moderater Kurs?

Autor: Dr. habil Bernhard Seliger

Am 09. März 2022 werden in Südkorea die 20. Präsidentschaftswahlen stattfinden. Der amtierende Präsident Moon Jae kann nicht mehr zur Wahl antreten, da Präsidentschaften auf eine Amtszeit begrenzt sind. Als Kandidaten stellen sich Lee Jae-Myung von der regierenden Demokratischen Partei und Yoon Seok-Yeol von der People Power Party (PPP). Alles wie gehabt?

  • Worauf beruht die Stärke der Demokratischen Partei?
  • Politik unter Moon
  • Wahlkampf und Kandidaten
  • Vorwürfe und Skandale
  • Außenpolitische Tendenzen
Das Geländer eines Gehsteiges ist dicht behängt mit Plakaten der 14 Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen in Korea.

Plakate aller 14 Präsidentschaftskandidaten nebeneinander. Im südkoreanischen Mehrheitswahlrecht haben allerdings nur die ersten zwei Kandidaten eine realistische Chance auf den Wahlgewinn.

Dr. B. Seliger

Wenn am 9. März 2022 rund 43 Millionen Wähler Südkoreas zur Präsidentschaftswahl aufgerufen sind, steht ihnen, wie alle (vier) Jahre, wieder im Prinzip nur je ein Kandidat der derzeitigen Mehrheitspartei, der linken Demokratischen Partei, und der rechten Oppositionspartei, der People Power Party, zur Verfügung. In diesem Jahr sind es Lee Jae-Myung von der regierenden Demokratischen Partei und Yoon Seok-Yeol von der People Power Party (PPP).

Die weiteren Kandidaten sind nur Zählkandidaten, die zwar das Ergebnis der Wahlen beeinflussen können, aber keine realistische Chance auf einen Wahlsieg haben. Alles wie gehabt also, bedingt durch das Mehrheitswahlrecht Südkoreas. Und doch ist es diesmal anders als sonst: Noch nie seit Gründung der Republik Korea 1948 hatte in dem eigentlich konservativen Land, in dem der Antagonismus zum kommunistischen Norden zur DNA gehört, eine linke Partei gleichzeitig die Mehrheit im Blauen Haus, dem Präsidentenpalast, und in der Nationalversammlung, in der die Demokratische Partei fast sechzig Prozent der Sitze hält, sowie in den meisten Provinzparlamenten, Kreistagen und Stadträten. Und es könnte gut sein, dass das auch bald wieder Vergangenheit ist.

Die Stärke der Demokratischen Partei

Ihre derzeitige starke Stellung verdankt die Demokratische Partei dem unrühmlichen Abgang von Staatspräsidentin, Park Geun-Hye, die 2017 wegen eines Korruptionsskandals des Amtes enthoben wurde. Die konservative Partei blieb damals als Scherbenhaufen zurück.

Als in der Folgewahl der Bewerber der Demokratischen Partei, der aktuelle Präsident Moon Jae-In, im Mai 2017 siegte, hatte der Streit zwischen Nordkoreas Führer Kim Jong-Un und dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump und seinem südkoreanischen Verbündeten gerade seinen Höhepunkt erreicht. Doch schon mit den Olympischen Winterspielen 2018, die im südkoreanischen Pyeongchang stattfanden, begann eine Phase der Entspannung. Diese endete zwar mit dem ergebnislosen Gipfel von Hanoi zwischen Trump und Kim, doch in der Zwischenzeit hatte die Demokratische Partei im Juni 2018, auf dem Höhepunkt der kurzzeitigen Entspannungseuphorie, in fast allen Provinzen, Landkreisen und Städten eine Mehrheit erzielt. In der Millionenstadt Seoul etwa, traditionell geteilt zwischen links und rechts, sind derzeit 100 von 106 Stadtratsmitgliedern von der Demokratischen Partei. Als dann 2020 das Parlament neu gewählt wurde, konnte Präsident Moon, der vorher mit wechselnden Mehrheiten regieren musste, auf die erfolgreiche Bilanz seiner Corona-Politik verweisen. Auch diese Wahl gewann die Demokratische Partei haushoch.

Entwicklungen in der Politik unter Moon

Doch dann stockte die Serie: Nach zwei wichtigen Nachwahlen, die ausgerechnet wegen Sexskandalen der regierenden Bürgermeister der Demokratischen Partei notwendig geworden waren, konnte die PPP in den größten Städten des Landes, Seoul und Busan, wieder die Bürgermeister stellen. Und sowohl die innenpolitische wie außenpolitische Agenda Moons stockte; die Jugendarbeitslosigkeit blieb hoch, die Immobilienpreise stiegen in immer neue, schwindelerregende Höhen und machten es für die meisten einfachen Angestellten unmöglich, jemals in Seoul oder anderen Großstädten ein Haus zu finanzieren. In mehreren spektakulären Aktionen, darunter der Sprengung des eben erst gebauten Nord-Süd-Verbindungsgebäudes im nordkoreanischen Kaesong, zerbrach die Entspannungspolitik mit Nordkorea. Die Justizreform, ein wichtiges Ziel der Regierung, die sich immer über die politische Einmischung der Justiz beklagt hatte, sie selber aber eifrig nutzte, um Vertreter der vorherigen konservativen Regierungen zu belangen, wurde eine Katastrophe für die Regierung. Der von Präsident Moon persönlich ausgewählte Generalstaatsanwalt Yoon Seok-Yeol wurde zu seinem mächtigsten Gegenspieler und der von vielen Linken verehrte Juraprofessor Cho Kuk musste nach nur wenigen Tagen im Amt wieder zurücktreten wegen moralischer Verfehlungen, die er zuvor vor allem der Gegenseite angelastet hatte, zurücktreten.

Der Kandidat der oppositionellen konservativen People Power Party (PPP), Yoon Seok-Yeol, tritt gegen Korruption und Unregelmäßigkeiten in den Reihen der linken Regierung an.

Der Kandidat der oppositionellen konservativen People Power Party (PPP), Yoon Seok-Yeol, tritt gegen Korruption und Unregelmäßigkeiten in den Reihen der linken Regierung an.

Südkoreanische Wahlkampfkommission, gemeinfrei

Der aktuelle Wahlkampf und die Kandidaten

Generalstaatsanwalt Yoon, der eigentlich von der moderaten Linken kam, trat daraufhin zur PPP über und wurde überraschenderweise dort zum Präsidentschaftskandidaten gewählt. Bei der Demokratischen Partei setzte sich in einem spannenden Wahlkampf nicht der Vertreter des linken Establishments, der frühere Ministerpräsident Lee Nak-Yeon, durch, sondern der als linker Populist geltende Lee Jae-Myung.

Bis kurz vor der Wahl liefern sich die beiden Kandidaten in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen ohne klar erkennbaren Vorreiter.

Yoon, geboren 1960 in Seoul, studierte an der Seoul National Universität Jura. Nach dem Aufstand von Gwangju im Jahr 1980, der von der damaligen Militärregierung unter Chun Do-Hwan blutig niedergeschlagen worden war, forderte Yoon die Todesstrafe für den Diktator. Er konnte einer direkten Verhaftung entkommen. Es dauerte nach dem Studium aber neun Jahre, in denen er immer wieder die Anwaltszulassung nicht bestand, wohl aus politischen Gründen, bevor er 1991 doch noch Staatsanwalt wurde. Danach war er in eine Reihe bedeutsamer Untersuchungen involviert, darunter Skandale von Regierungsmitgliedern unter den Präsidenten Kim Dae-Jung, Roh Moo-Hyun, Lee Myung-Bak und Park Geun-Hye, an deren Amtsenthebung er erheblichen Anteil hatte. Letzteres führte zunächst zu seiner Strafversetzung, bevor Präsident Moon ihn rehabilitierte und 2019 zum Generalstaatsanwalt machte. Aber auch hier machte er sich unbeliebt, als er unerbittlich Skandale der neuen Regierung verfolgte, darunter auch Justizminister Cho Kuk. 2021 verließ er schließlich den Staatsdienst, trat der PPP bei und wurde im November des Jahres zum Präsidentschaftskandidaten ernannt.

Lee Jae-Myung, Kandidat der regierenden linken Demokratischen Partei, stammt aus einer armen Familie und hat sich hochgearbeitet. Er ist ein guter Redner, aber oft populistisch und deswegen auch in seiner eigenen Partei umstritten.

Lee Jae-Myung, Kandidat der regierenden linken Demokratischen Partei, stammt aus einer armen Familie und hat sich hochgearbeitet. Er ist ein guter Redner, aber oft populistisch und deswegen auch in seiner eigenen Partei umstritten.

Südkoreanische Wahlkampfkommission, gemeinfrei

Lee Jae-Myung, 1964 in Andong im Südosten des Landes geboren, stammt aus einer armen Familie und musste schon früh in verschiedenen Fabriken arbeiten. Dort erlitt er verschiedene Arbeitsunfälle, bevor er 1980 seinen Schulabschluss nachholen konnte und danach Jura studierte. Er entschloss sich, Arbeiteranwalt und Aktivist zu werden, statt eine Karriere im autoritären Staat anzustreben, ließ sich in Seongnam im Süden Seouls nieder. Dort trat er 2005 der linken Uri-Partei (Vorgängerin der DP) bei und kandidierte erfolglos für verschiedene Ämter, bevor er 2010 zum Bürgermeister von Seongnam gewählt wurde. In den Vorwahlen der DP 2017 unterlag er gegen den jetzigen Präsidenten Moon Jae-In und schließlich wurde er 2018 zum Gouverneur der Gyeonggi-Provinz gewählt, die den Speckgürtel von Seoul umfasst, aber auch das nordwestliche Grenzland zu Nordkorea. Er wurde bekannt für populistische Vorschläge, darunter massive Einkommenshilfen nach dem Beginn der Corona-Pandemie und den Vorschlag für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Obwohl das Establishment der DP mit allen Mitteln versucht hat, seine Kandidatur zu verhindern, konnte er sich schließlich durchsetzen, nicht zuletzt wegen seiner Rednergabe.

Verstrickungen in Skandale

Sowohl Yoon als auch Lee sowie deren Ehefrauen sind verschiedene Skandale vorgeworfen worden. So soll Lee in einen Immobilienskandal in Seongnam verwickelt gewesen sein und Yoon in eine Intrige gegen DP-Politiker. Vorwürfe von „gapshil“ (arrogantes und ungesetzliches Verhalten gegenüber Untergebenen) werden gegenüber Lees Frau erhoben und Yoons Frau wird in Verbindung mit einem Aktienskandal gebracht und auch Fälschung ihres Lebenslaufs wird ihr angelastet. In einem so personalisierten Wahlkampf wie dem südkoreanischen, in dem der Gewinner eine „imperiale Präsidentschaft“ mit weitreichender Autorität gewinnt, ist das nicht unüblich, wohl aber die Intensität der diesjährigen Attacken.

Während Generalstaatsanwalt Yoon als Neuling in der Politik als unbeholfen und tapsig gilt, ist der frühere Gouverneur ein guter Redner, allerdings oft ausfallend. So etwa als er nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs dem ukrainischen Präsidenten vorwarf, als unerfahrener früherer Komödiant selber am Krieg schuld zu sein – die Attacke hatte dem ebenfalls politisch eher unerfahrenen Yoon gegolten. Später musste Lee sich entschuldigen.

Außenpolitische Tendenzen

In der Außenpolitik tritt der konservative Yoon für eine starke Allianz mit den USA ein, eine Annäherung an Japan und eine klare Verteidigungsstrategie gegenüber Nordkorea. Darin fühlt er sich vor allem auch durch den Ausbruch des Ukraine-Kriegs bestätigt. Lee gibt an, eher an einem Ausgleich mit China interessiert zu sein. Doch auch er hält die Allianz mit den USA für unverzichtbar und ist sehr zurückhaltend in Bezug auf eine Weiterführung der Aussöhnungspolitik von Moon mit Nordkorea. Das spiegelt sehr genau den Wandel der Haltung vor allem jüngerer Menschen wider, die müde sind, eine Politik der „Anbiederung“ an Nordkorea – wie sie von vielen bezeichnet wird – mitzutragen. Für jüngere Menschen ist vor allem das Versagen der Arbeitsmarktpolitik und der Immobilienpolitik weitaus wichtigere Themen. So sind in diesem Wahlkampf auch zum ersten Mal die jüngeren Wähler klar auf Seiten der konservativen Opposition.

Bis zur letzten Minute

Der Ausgang der Wahlen ist noch völlig ungewiss. Yoon von der konservativen PPP hat nun mit dem moderaten Drittplatzierten, Ahn Cheol-Soo, am 03. März entschieden, ihre Wahlkampagnen zu vereinen. Dies könnte das Ergebnis der Wahl so kurz war Stimmabgabe noch überraschend verändern.
Das koreanische „Winner-takes-all – System“ ist nicht wirklich gut für Koalitionen, da einem kleineren Partner kaum eine Möglichkeit der Durchsetzung eigener Ziele bleibt.

Lee versucht stattdessen, mit einem Versprechen für eine Reform, die kleinere Parteien begünstigt, diese an sich zu ziehen – doch dasselbe Versprechen haben Politiker immer wieder gegeben, nur um es zu brechen, sobald sie an der Macht waren. Es bleibt also spannend bis zur letzten Minute.

Kontakt

Repräsentant der Hanns-Seidel Stiftung in Korea: Dr. habil Bernhard Seliger
Repräsentant der Hanns-Seidel Stiftung in Korea:  Dr. habil Bernhard Seliger