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Zum innerkoreanischen Gipfeltreffen
Gipfeltreffen der schönen Worte – jetzt müssen Taten folgen

Weltweit überschlagen sich hoffnungsvolle Berichte über die Annäherung zwischen Nord- und Südkorea. Könnte das symbolgeladene Gipfeltrefen zwischen Kim Jong-Un und Moon Jae-In der Beginn eines wirklichen Friedensprozesses sein oder wird sich die Hoffnung auf Annäherung und nukleare Abrüstung im Licht strategischer Realitäten wieder zerschlagen?

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Das Gipfeltreffen von Präsident Moon Jae-In aus Südkorea mit dem nordkoreanischen Führer Kim Jong-Un am Freitag wird in der südkoreanischen Presse, aber auch international als „historisch“ und „Beginn einer neuen Ära“ gelobt. Die südkoreanische Regierung selber hat mit der „neuen Ära des Friedens“, die jetzt beginne, den Ton vorgegeben. Tatsächlich hat es an symbolischen Worten und Gesten nicht gemangelt. Allerdings wird erst das Gipfeltreffen Kim Jong-Uns mit US-Präsident Trump sowie die Praxis der Abrüstungsverhandlungen und die Praxis der innerkoreanischen Beziehungen zeigen, ob nicht – wie schon 2007, als ähnlich hehre Erklärungen das Gipfeldokument beider Seiten zierten – die neue Ära auf tönernen Füßen steht.

Zum ersten mal überschritten Kim Jong-Un und Moon Jae-In gemeinsam die innerkoreanische Grenze. Bleibt es bei schönen Gesten oder kommt Bewegung in den Prozess der Annäherung?

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Historische Gesten, aber…

Doch der Reihe nach: Als am Freitag, 27.4., um 9.30 Uhr der nordkoreanische Führer Kim Jong-Un in Panmunjom die Grenze überschritt, war das tatsächlich ein historischer Schritt. Noch nie hatte ein nordkoreanischer Führer nach dem Ende des Koreakriegs den Schritt nach Süden gewagt. Die beiden ersten Gipfeltreffen von Nord- und Südkorea im Juni 2000 und im Oktober 2007 hatten beide in Pjöngjang stattgefunden.

Die Staatschefs wurden zum Gipfeltreffen von hochrangigen Offiziellen aus den jeweiligen Regierungen und Militär begleitet. Die Gespräche, die den ganzen Tag über im Haus des Friedens geführt wurden, fanden entweder zwischen den beiden Staatschefs alleine oder zusammen mit ihren Delegationen statt. Abends wurde dann feierlich eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, und danach kamen auch die Ehefrauen – auf ausdrücklichen Wunsch Südkoreas – zum Dinner, das in einer sehr herzlichen und entspannten Atmosphäre verlief.

Die Delegierten:

Südkorea wurde neben Präsident Moon Jae-in durch Außenminister Kang Kyung-wha, Wiedervereinigungsminister Cho Myoung-Gyon, Verteidigungsminister Song Young-moo, Stabschef Jeong Kyeong-doo, den Geheimdienstchef Suh Hoon, den Nationalen Sicherheitsberater Chung Eui-yong und den Stabschef des Präsidenten Im Jong-seok, repräsentiert. Nordkorea wurde außer durch Kim Jong-un von Außenminister Ri Yong Ho, den Vorsitzenden des Wiedervereinigungsausschusses Ri Son Gwon, den Minister der nordkoreanischen Streitkräfte, Stabschef Ri Myong Su, den Direktor der Vereinigten Front Abteilung der Partei Kim Yong Chol, den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der Partei Ri Su Yong, den Vorsitzenden des nationalen Sportkomitees Cheo Hwi, den Vorsitzenden des Präsidiums der Vollversammlung der Partei Kim Yong Nam und von Kim Jong-uns Schwester Kim Yo Jong, die erste Vizevorsitzende der Propagandaabteilung und Ersatzmitglied im Politbüro ist, vertreten.

In der Abschlusserklärung bekräftigen Nord- und Südkorea, nie wieder gegeneinander Krieg führen zu wollen. Propagandaaktionen, etwa per Radio oder Flugblätter, sollen eingestellt, die Lage an der Grenze friedlicher gestaltet werden.

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Denuklearisierung?

Das Gipfeltreffen, dessen Beginn live im südkoreanischen Fernsehen übertragen wurde, war durch viele, teils überraschende Gesten geprägt: Kim Jong-Un gab sich, wie schon bei manchen vorherigen Treffen im internationalen Rahmen, relativ locker. So scherzte er, der südkoreanische Präsident brauche nicht mehr besorgt darüber zu sein, morgens früh geweckt zu werden – eine Anspielung auf die regelmäßigen Treffen des südkoreanischen Nationalen Sicherheitsrats nach den vielen Raketen– und Atomtests Nordkoreas der letzten Jahre, die immer am frühen Morgen stattfanden. Auch versicherte er, er werde auf Einladung Moons „jederzeit“ ins Blaue Haus, den südkoreanischen Präsidentenpalast, kommen.  

In der Abschlusserklärung wurde die „komplette Denuklearisierung“ der koreanischen Halbinsel festgeschrieben – ein großer Schritt, wenn man bedenkt, wie rigoros Nordkorea den Weg zur Nuklearmacht beschritten hat. 2013 wurde der Status Nordkoreas als Nuklearmacht sogar in die Verfassungsänderung aufgenommen. Eine „komplette Denuklearisierung“ hört sich jedoch wie die „complete, verifiable, irreversible denuclearization“ (CVID) an, die die USA seit Jahren fordern. Beide Koreas bekräftigten zudem die Absicht, niemals Krieg auf der koreanischen Halbinsel anzufangen und an einem Friedensvertrag arbeiten zu wollen. Ein konkretes Mittel dazu soll ein Liaison-Büro beider Seiten sein, das in Kaesong eröffnet werden soll. Bei einer guten Entwicklung kann dies vielleicht einmal eine Rolle übernehmen, wie die Ständigen Vertretungen, die West- und Ostdeutschland in der Zeit der Teilung unterhielten. Alle feindselige Akte (dazu gehören etwa Flugblattaktionen, Radiopropaganda etc.) sollen eingestellt und schon in naher Zukunft Militärgespräche auf Generalsebene geführt werden, um die Lage an der Grenze friedlicher zu gestalten.

Public viewing in Südkorea: Das Gipfeltreffen weckt Hoffnungen auf gemeinsame Projekte. Geplant ist etwa eine neue "Sonderwirtschaftszone", gemeinsame Sportteams bei den "Asian Games", Infrastrukturprojekte, etc.

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Gemeinsame Projekte

Schon bald soll es auch Familienzusammenführungen geben. Wichtige Gedenktage für den Frieden beider Seiten, etwa das Gedenken an der Gipfeltreffen von Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il am 15.6.2000, sollen gemeinsam gefeiert werden. Bei Sportveranstaltungen wie den Asian Games soll es gemeinsame Teams geben. Schließlich sollen die im Gipfeltreffen von 2007 festgeschriebenen Wirtschaftsprojekte, wozu unter anderem eine zweite gemeinsame Wirtschaftszone in Haeju gehört, weiter verfolgt werden, und damit natürlich implizit, wenngleich nicht genannt, auch die Sonderwirtschaftszone Kaesong. Gemeinsame Infrastrukturprojekte sollen mit der Modernisierung von Straßen- und Eisenbahnverbindungen beider Seiten, vor allem der Eisenbahn von Kaesong über Sinuiju nach China, beginnen. Die Grenzzone im Gelben Meer, die sogenannte „Northern Limit Line“, die von Nordkorea nicht anerkannt wird und die zu dauernden militärischen Zwischenfällen geführt hat, soll zu einer gemeinsamen Friedens- und Wirtschaftszone werden.  

All das klingt sehr gut, doch muss man abwarten, wie es umgesetzt wird. Das Ziel eines umfassenden Friedens war schon 2007 im Gipfeldokument festgeschrieben. Damals waren im Wahlkampf vom scheidenden Präsidenten Roh Moo-Hyun, dessen enger Mitarbeiter der jetzige Präsident Moon Jae-In war, weitreichende Vereinbarungen unterzeichnet worden, die dann von seinem Nachfolger, Lee Myung-Bak, auf den Prüfstand gestellt wurden. Ein tödlicher Zwischenfall im Tourismussondergebiet Kumgangsan, wo eine südkoreanische Touristin im Sommer 2008 von nordkoreanischen Soldaten erschossen wurde, hat dann zum Ende jeglicher Zusammenarbeit geführt.

Südkoreas Präsident Moon Jae-In konnte mit dem Gipfeltreffen vor den wichtigen Lokalwahlen punkten. Aber auch Kim Jong-Un hat in der südkoreanischen Öffentlichkeit einen guten Eindruck hinterlassen

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Prozess des „Gebens und Nehmens“

Die komplette Denuklearisierung ist ebenfalls ein Ziel, was stark von der jeweiligen Interpretation beider Seiten abhängt: Südkorea hat selber keine Atomwaffen und amerikanische Atomwaffen wurden vor langer Zeit aus dem Land geschafft. Allerdings steht Südkorea unter dem „nuklearen Abwehrschirm“ der USA. Heißt das, dass die USA ihre Allianz mit Südkorea aufkündigen müssen – ein langersehntes Ziel Nordkoreas – oder ihre Atomwaffen aus ihren Militärbasen wie Guam verbannen müssen? Nordkorea hat, das wurde in den Gipfelgesprächen deutlich, wohl eine Art der phasenweisen Abrüstung („ein Geben und Nehmen“) im Sinn. Dies hat in der Vergangenheit stets nicht funktioniert und dem amerikanischen Präsidenten schwebt wohl eher ein großer Wurf vor, mit dem die komplette, verifizierbare und irreversible Denuklearisierung durchgesetzt werden kann. Ein phasenweiser Prozess würde unweigerlich zunächst die Aufgabe oder den schrittweisen Abbau von Sanktionen beinhalten und damit dann weitere Schritte aus Sicht Nordkoreas vielleicht unnötig machen. Die ökonomischen Projekte des Gipfels klingen gut, sind aber völlig abhängig von der Aufgabe eben jener Sanktionen. Es hängen also noch viele Fragezeichen über den Gipfelvereinbarungen.

Kim hat sich als bemerkenswert menschlich und locker dargestellt und damit das Bild, das internationale Medien von ihm zeichnen, geschickt gekontert. Wenn die ersten Schritte der Umsetzung der Gipfelvereinbarungen, wie regelmäßige Treffen beider Seiten und Familienzusammenführungen, tatsächlich funktionieren, kann das die Aussichten auf dauerhaften Frieden stärken. Für diesen sind aber auf jeden Fall auch die USA und China notwendige Partner. Beide haben die Ergebnisse des Gipfeltreffens gelobt, auf dem an einer Stelle auch von Vierergesprächen wie schon in der Vergangenheit die Rede war. Präsident Moon hat die Rolle des US-Präsidenten Trump nochmals hervorgehoben, den Gipfel möglich gemacht zu haben, was dieser sofort dankbar aufnahm. Kim Jong-Un hat einen guten Eindruck in der südkoreanischen Öffentlichkeit hinterlassen, Präsident Moon hat ebenfalls vor den wichtigen Lokalwahlen gepunktet.

Wird sich Nordkorea wirklich seine Nuklearwaffen abverhandeln lassen? Was wird das nordkoreanische Militär dazu sagen?

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Traum und Realität

Aber die Taten, die den schönen Worten folgen sollen, sind wesentlich komplizierter: Wird sich Nordkorea wirklich die schwer erkauften (im Sinne der internationalen Isolierung) Nuklearwaffen und das Raketenarsenal abverhandeln lassen? Was wird das nordkoreanische Militär, dessen Rolle ideologisch jetzt schwächer zu sein scheint als in den letzten zwanzig Jahren, dazu sagen? Investitionen und Frieden klingen gut, aber für Nordkorea liegt darin die Gefahr, die Bevölkerung weniger kontrollieren zu können, wenn etwa mehr Informationen in das Land kommen durch Nord-Süd-Austausch.  

Gelingt also der Wandel durch Annäherung? Wie dem auch sei, Südkorea muss die Chance, die das Gipfeltreffen bietet, nutzen. Und es hätte dabei die Möglichkeit, auch die eigenen Geister der Vergangenheit, etwa ein völlig veraltetes Sicherheitsgesetz, das den Zugang zu nordkoreanischen Internetseiten im Süden blockiert, zu überwinden, ohne die Bereitschaft zur Verteidigung seiner Werte zu verlieren. Dafür muss man Südkorea alles Gute wünschen. Dann kann aus Panmunjeom, wie es der südkoreanische Präsident Moon bei der Vorstellung der Abschlussdeklaration sagte, vielleicht wirklich eine „Geburtsstätte des Weltfriedens“ werden.