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Olympische Winterspiele
"Friedensolympiade" oder "Pjöngjang-Olympiade"?

Was ist zu halten von der symbolträchtigen Teilnahme Nordkoreas an den Olympischen Spielen? Geht es um mehr als „verbale Friedensbereitschaft“ oder versucht das Regime um Kim Jong-Un die Sanktionspolitik des Westens zu untergraben? Klar ist, ohne Gespräche zwischen Nordkorea und den USA haben alle diplomatischen Fortschritte ein Ablaufdatum.

Der Kampf um Medaillen bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang in Südkorea ist noch in vollem Gange, doch die Medaille für die beste politische Selbstdarstellung scheint schon vergeben: einhellig wurde sie dem nordkoreanischen Team verliehen, das mit einer hochrangigen Delegation, darunter zum ersten Mal seit dem Waffenstillstandsabkommen vom Juli 1953 ein Mitglied der Kim-Dynastie, einer Brigade hübscher Cheerleaderinnen und einem großen Orchester sowie einer kleinen Anzahl von Athleten, die allesamt durch eine Sondergenehmigung des Internationalen Olympischen Komitees an den Spielen teilnehmen konnten, alle anderen Teilnehmern, darunter auch dem Gastland Südkorea, die Show stahl.

"Lass uns nach Kaesong gehen", "Lass uns nach Kumgangsan gehen" – dieses nordkoreanische Flugblatt suggeriert Unterstützung in Südkorea für die Wiedereröffnung der umstrittenen Großprojekte zur Wiedervereinigung, die einerseits Millionensummen für das nordkoreanische Regime gebracht haben, aber auch die Begegnung tausender Nord- und Südkoreaner; die Wirklichkeit sieht jedoch eher ernüchternd aus, die Südkoreaner nehmen die nordkoreanische Charmeoffensive kühl und gelassen auf.

Keine Konzessionen in der Nuklearpolitik

Nordkorea kommt dieses Ergebnis klar zugute: die ganze Welt blickt wieder einmal gebannt auf die koreanische Halbinsel, dieses Mal mit Erleichterung nach den Befürchtungen der letzten zwei Jahre. Nordkorea, das weder sportlich noch finanziell noch politisch (im Sinne des "olympischen Waffenstillstands") an der Olympiade irgendeinen Anteil hat, kommt so in den Genuss kostenloser Publizität, und das, ohne irgendeine Konzession in Bezug auf die Nuklearpolitik gemacht zu haben. Um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, hat Nordkorea nur einen Tag vor der Eröffnung der Olympiade eine große Militärparade abgehalten, die zwar für nordkoreanische Verhältnisse "zurückhaltend" war - zum Beispiel wurde auf eine Live-Übertragung verzichtet - aber doch nochmals ganz klar den nuklearen Anspruch Nordkoreas verdeutlichte.

Aber auch für Südkoreas Präsidenten Moon ist die Teilnahme Nordkoreas von Vorteil: Bisher war seine Nordkoreapolitik, die ein zentrales Element seiner Regierungspolitik sein sollte, von Misserfolgen geprägt. Statt eine Entspannung zu erreichen, hat der provokante Umgang der amerikanischen Regierung unter Donald Trump mit dem zunehmend aggressiven Nordkorea zu einer immer stärkeren Konfrontation geführt. Entsprechend erleichtert war Südkoreas Regierung, als nun die Nordkoreaner doch noch an der Olympiade teilnahmen. Auch die südkoreanische Bevölkerung steht dieser Entwicklung im Wesentlichen positiv gegenüber; zwar war hier die Kriegshysterie nicht so groß wie in den ausländischen Medien, aber doch war das Aufschaukeln des Konflikts den Menschen am Ende auf die Nerven gegangen.

Gleichzeitig ist aber auch klargeworden, dass der Enthusiasmus der Sonnenscheinpolitik der frühen 2000er Jahre vorbei ist: während die Medien das Spektakel um die aus Nordkorea angereisten Cheerleader gierig aufnahmen, war die Aufnahme in der Bevölkerung eher kühl. Zwar gibt es insgesamt eine große Zustimmung zum Dialog mit Nordkorea, aber - anders, als vielleicht von Nordkorea und sicherlich von Präsident Moon Jae-In aus Südkorea erwartet - ist die Skepsis gegenüber Nordkorea nach der aggressiven Haltung des Landes in den letzten Jahren gewachsen.

Ein für Südkorea höchst ungewöhnliches Bild - im Olympischen Dorf sieht man das Haus des südkoreanischen Teams (links) und die Unterkunft der Nordkoreaner mit der nordkoreanischen Flagge (rechts), die sonst in Südkorea verboten ist.

Einladung zum Gipfeltreffen in Nordkorea

Kritiker der Regierung aus der Freiheitspartei Südkoreas, der konservativen Oppositionspartei, werfen der Moon-Regierung bereits vor, aus den "Pyeongchang Olympics" die "Pyongyang Olympics" gemacht zu haben. Tatsächlich haben sich vor allem die Medien, allen voran die südkoreanischen und amerikanischen Medien, die zunächst noch skeptisch gegenüber der Friedensouvertüre aus Nordkorea waren, auf die Bilder der attraktiven Cheerleader in schicker Kleidung gestürzt. Zu dem Medienrummel hat sicherlich auch beigetragen, dass mit dem greisen nominellen Staatschef Kim Yong-Nam, dem Leiter des Präsidiums der Obersten Volksversammlung, vor allem aber der Schwester von Kim Jong-Un, Kim Yo-Jong, zwei politische Schwergewichte aus Nordkorea in den Süden gereist sind. Zum ersten Mal überhaupt war damit auch ein Mitglied der Kim-Dynastie in Südkorea.

Der große Clou beim Treffen des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-In mit Kim Jong-Uns Schwester Kim Yo-Jong, war die Übergabe eines Briefes, mit dem Moon zu einem "frühmöglichsten" Gipfeltreffen nach Pjöngjang eingeladen wurde. Damit wäre er nach Präsident Kim Dae-Jung (2000) und Präsident Roh Moo-Hyun (2007) der dritte südkoreanische Präsident, der nach Pjöngjang zu einem Gipfeltreffen reisen würde. Die Symbolik einer solche Reise - der südkoreanische Präsident macht dem nordkoreanischen Diktator seine Aufwartung - ist beiden Seiten durchaus bewusst, ebenso das Problem, dass durch eine solche Reise, wenn sie nicht mit ganz bestimmten Vorbedingungen verknüpft ist, die bisher brüchige, aber einheitliche Sanktionspolitik gegenüber Nordkorea aufgeweicht werden könnte. Präsident Moon hat deshalb sehr klug reagiert, als er weder eine Absage noch Zusage gegeben hat, sondern stattdessen darauf hinwies, dass die Bedingungen für ein solches Treffen zunächst erfüllt sein müssen. Inzwischen hat er nochmals nachgelegt und erklärt, dass zunächst ein Dialog Nordkoreas mit den USA stattfinden müsse, bevor man an ein Gipfeltreffen denken könne.

Zufriedene Fans, aber nur halbleere Ränge - eine Folge der Politik des IOC und Südkoreas bei der Kartenvergabe.

Dialogbereitschaft?

Dieses Junktim ist wichtig: denn Nordkorea hat bisher den Dialog mit den USA abgelehnt, sich aber gleichzeitig, in echt nordkoreanischer Dialektik, über das Ignorieren seiner Delegation bei den Olympischen Spielen durch die USA beklagt. Man forciere keinen Dialog, ließen die Staatsmedien auch nach der Olympiade verkünden, es "könne aber sein, dass die USA ungeduldig würden" (einen solchen Dialog zu beginnen). Damit hat man sich immerhin ein Hintertürchen aufgehalten, um im Fall eines Dialogs eine Erklärung parat zu haben - man darf nicht vergessen, dass die häufigen Kehrtwendungen der Politik auch zu Hause, gegenüber den eigenen Funktionären vielleicht mehr als gegenüber der Bevölkerung, einiges an Erklärungsbedarf produzieren. Die USA wiederum haben zwar prinzipiell Gesprächsbereitschaft signalisiert, aber auch ganz klargemacht, dass die Politik der strengst möglichen Sanktionen weitergehen wird. Dementsprechend hat US-Vizepräsident Mike Pence auch bei seinem Besuch anlässlich der Eröffnung der Winterspiele peinlich vermieden, mit den Nordkoreanern ins Gespräch zu kommen.

Die nordkoreanische Delegation ist wieder abgereist. Wie geht es nun weiter? Zunächst einmal könnte es jetzt zu den Militärgesprächen über eine Entspannung der Situation im unmittelbaren Grenzgebiet kommen, die zwar von Südkorea angefragt, von Nordkorea aber noch nicht bestätigt worden sind. Themen gäbe es genug für ein solchen Treffen, und auch konkrete Ziele, beispielsweise einen möglichen Stopp von Propagandasendungen, mit denen beide Seiten regelmäßig per Lautsprecher die ansonsten ruhige demilitarisierte Zone beschallen.

Soohorang (weißer Tiger) und Bandabi (Mondbär) sind die Maskottchen der Olympischen Spiele und der Paralympics - sie sind in der koreanischen Mythologie verwurzelt, insbesondere in der Gangwon-Provinz, wo die Olympischen Spiele stattfinden.

Kommt es zu Gesprächen?

Allerdings sind Militärgespräche für Nordkorea wenig attraktiv, da es damit die Aufwertung der südkoreanischen Streitkräfte verbindet, die laut nordkoreanischer Propaganda eigentlich nur Marionetten der USA sind. Für Südkorea stehen sicherlich Familienzusammenführungen im Vordergrund. Dabei geht es um relativ kurze, zwei- bis dreitägige Treffen, die üblicherweise in einem nordkoreanischen Resort (Kondominium) im Kumgangsan-Gebirge in Grenznähe durchgeführt werden, das von Südkorea früher für den Tourismus genutzt wurde, bis dort 2008 eine Touristin von nordkoreanischen Wachsoldaten erschossen wurde. Diese streng überwachten Treffen sind für Nordkorea politisch relativ unproblematisch und für Südkorea sehr drängend, da es nach über 70 Jahren der Teilung immer weniger Überlebende gibt, die sich nach einem Treffen meist mit den Geschwistern sehnen. Von den ursprünglich 130.000 Südkoreanern, die für solche Familienzusammenführungen beim südkoreanischen Wiedervereinigungsministerium registriert sind, sind bereits 70.000 gestorben.

Gleichzeitig muss gesagt werden, dass der Spielraum für Konzessionen Südkoreas, die ja eigentlich auch nur dann Sinn machen, wenn Nordkorea sich politisch bewegt, im Moment fast gleich null sind: alle Optionen der Wirtschaftskooperation, die während der ganzen Lee Myung-Bak-Zeit und auch der Park Geun-Hye-Zeit prinzipiell noch zur Verfügung standen, sind durch die jetzigen Sanktionen ausgeschlossen. Dazu gehören vor allem auch die von Nordkorea gewünschte Wiedereröffnung des Kaesong Industriekomplexes und des Kumgangsan-Tourismusprojekts, Großprojekte, für die Nordkorea aus dem Süden Millionensummen erhalten hatte.

Für die Olympia-Teilnahme der Nordkoreaner, die letztlich komplett vom Süden bezahlt wurde (dafür wurden von der Regierung 2,64 Mill. USD aus dem Vereinigungsfonds bereitgestellt), bedurfte es bereits dauernder Konsultationen mit dem Finanzministerium der USA, um die Kompatibilität mit Sanktionen zu prüfen. Südkorea müsste also zunächst versuchen, im Einklang mit den USA, die dem ganzen Entspannungsprozess sehr skeptisch gegenüberstehen, die Sanktionen zu ändern, bevor ein substanzielles Angebot an Nordkorea gemacht werden kann.

Natürlich ist die Olympiade auch eine perfekte Werbung für das moderne Land Südkorea mit seiner Technologiebegeisterung, aber auch seinem kulturellen Einfluss.

Verbale Friedensbereitschaft

Das aber ist nur denkbar, wenn sich vorher Nordkorea gewaltig von seiner jetzigen Position wegbewegt, was aber nicht zu erwarten ist. Schlimmstenfalls könnte also nach der Olympiade, wie schon gewohnt, eine Ernüchterungsphase einsetzen, und möglicherweise noch Schlimmeres, etwa eine Bekräftigung des nordkoreanischen Standpunktes durch neue Provokationen. Andererseits hat Nordkorea, wie die hochrangige Delegation zu den Spielen ebenso zeigt wie die ungewöhnlich zahme Propaganda Nordkoreas und wie letztlich Kim Jong-Un selbst beim Empfang der zurückkehrenden Delegation aus Südkorea nochmals bekräftigt hat, wirklich Interesse an Dialog und Entspannung.

Die Sanktionen und der von ihnen ausgehende wirtschaftliche Druck, gerade auf die Eliten des Landes, sind sicherlich Auslöser dieser verbalen Friedensbereitschaft. Aber, um wirklich die Sanktionsfront gegenüber Nordkorea aufzubrechen, braucht es konkrete Ergebnisse, die nur in Verhandlungen mit den USA erreicht werden können, egal ob bilateral oder multilateral, etwa im Format der Sechs-Parteien-Gespräche. Wie es dazu kommen kann, ist noch unklar. Es ist aber im Interesse der ganzen Weltgemeinschaft, dass aus dem olympischen Friedenslüftchen ein stärkerer Wind der Öffnung für Nordkorea wird. Deutschland könnte durch eigene Initiativen versuchen, das zu unterstützen, zum Beispiel als Ort für Gespräche aller Beteiligten.

Ach ja, und dann sind da ja noch die Olympischen Spiele... nach der Abreise der nordkoreanischen Delegation drehte sich die Berichterstattung endlich wieder um das eigentliche dieser Spiele, die Wettkämpfe. Und auch Südkorea nutzte die Gelegenheit, sich als moderner Staat darzustellen und gleichzeitig stolz auf seine lange kulturelle Tradition hinzuweisen. Die Organisation war zwar nicht immer perfekt - die Entfernung der Spielstätten von der Hauptstadt Seoul, fehlende Zugverbindungen und teilweise leere Ränge waren ein Problem. Aber ansonsten sind die Spiele für die Besucher doch ein Fest der Gefühle und der weltweiten Verbundenheit. Wie das Motto der Spiele schon sagt: Passion. Connected.